[S] Der erste Unterrichtsversuch…

…oder auch: wenn das Gymnasium zum Zirkus wird.

Nichts gegen das Referendariat, aber wer bitte kommt auf so bescheuerte Ideen sich eine Stunde vorzeigen zu lassen, in der alles perfekt laufen sollen. Wo ist denn da bitte die Realität? Ein Dozent sagte von mir einmal, dass diese perfekte Stunde gezeigt werden soll, weil die Beobachter dann einfach 70% dieser Stunde abziehen und das Ergebnis haben, wie es eigentlich läuft. Okay? Wieso zeige ich dann nicht gleich einfach eine normale Stunde? Meine Kommilitonin und ich besuchen aktuell eine Referendarin in ihrem Religionskurs. Der erste Unterricht war unstrukturiert und selbst für uns ziemlich verwirrend. Sie ist aber ein Typ Lehrerin, der ich zutrauen würde, alles so akribisch vorzubereiten, dass sie ihre perfekte Stunde locker hinbekommt. Jetzt gibt es nur ein Problem: wir haben die Realität beobachtet, die nicht ganz so rund aussah. Diejenigen, die aber dafür sorgen, dass sie einen Job bekommt (also Noten vergeben), sehen das komplette Gegenteil. Logik leider nicht vorhanden.

Cartoon Re
(Cartoon von Renate Alf)

Auch ich hatte letzte Woche meinen ersten Unterrichtsbesuch von meinem Dozenten aus der Uni und habe diesen natürlich auch vorbereitet. Ein Arbeitsblatt hier, ein Stundenverlaufsplan da, alles sorgfältig vorbereitet (sogar getackert), aber leider war ich von der Lehrerin an einige Auflagen gebunden. Rollenspiel und generell Gruppenarbeit war nicht erlaubt und auch meinen Zeitstrahl durfte ich nicht umsetzen. Auch sollte ich in 45 Minuten ein Thema behandeln, was man eigentlich in 2-3 Doppelstunden hätte bearbeiten müssen, aber gut. In meinem Kopf hatte ich die Aufgabe, meinem Dozenten eine gut vorbereitete Stunde zu zeigen, wie wir sie immer halten würden. Das tat ich auch. Rückmeldung? So können Sie das aber nicht im Referendariat machen! Im Referendariat? Ich bin nicht im Referendariat. Das ist ein blödes Praktikum! Aber gut, er hatte noch mehr zu sagen. Meine Einwände bezüglich der Einschränkungen der Lehrerin und dem vielen Stoff, verstand er zum Glück, was er aber trotzdem anmerkte, war, dass er sich mehr Requisiten gewünscht hätte. Für das Arbeitsblatt, das in verteilten Rollen gelesen wurde, wäre es doch nett gewesen, Bettlaken und Schriftrollen mitzubringen, damit sich die Kinder in die Situation einfühlen könnten. Ähm, okay?

Ein weiteres Problem, das sich durch die Stunde zog, womit er absolut Recht hatte und was ich auch bemerkt habe, war, dass ich erst in den letzten 10 Minuten angeschrieben habe, was in einer 5. Klasse natürlich tödlich ist. Meine Erklärung: diese bescheuerte Schule besteht nur aus Smartboards. Wurde uns vorher gezeigt, wie so ein Ding funktioniert? Nein. Wir sind mit Tafeln aufgewachsen, die es an dieser Schule aber irgendwie nicht mehr gibt. Neben dem Smartboard gibt es zwar noch ein Whiteboard, das aber am anderen Ende der Klasse befestigt ist. Ich hatte also die Wahl zwischen nicht anschreiben und immer vom einen Ende ans andere rennen und die Schüler bitten, sich doch jedes Mal umzusetzen. Ich entschied mich für Ersteres. Warum zum Teufel hat man heutzutage keine Tafeln mehr? Dieses Smartboard ist absolut sinnlos, ich konnte kaum etwas anschreiben, weil nach zwei Zeilen das ganze Ding voll war, es hat sich ständig aufgehangen und ich wusste nicht, wie man damit umgeht. Super. Mein Dozent meinte hinterher, dass er mein Problem verstehen würde, aber es wäre leider nur eine sehr gute Standardstunde gewesen. Wo ist das Problem? Ist das nicht das, was jeder Lehrer will? Eine Standardstunde, die auch noch sehr gut ist? Die Schüler seien diszipliniert gewesen, ich hätte für Ruhe gesorgt und eine sehr natürliche Ausstrahlung. Ich wirkte, als ob ich schon angekommen sei und würde wie eine Lehrerin handeln und nicht wie eine Praktikantin. Ah okay, und das ist also falsch? Im Referendariat scheint man kein natürliches Verhalten sehen zu wollen, sondern Roboter, die hinterher zusammenknicken und ihre Maschinen runterfahren, um dann ihrem Trott nachzugehen. Herzlich Willkommen in der Lehrerwelt!

Die etwas genervte Praktikantin, die die Kritik, dass es leider nur eine sehr gut Standardstunde sei, nicht als Kritik genommen hat, sondern als das größte Lob.

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